6. Oktober 2025

Innovative Gentherapie: Neue Hoffnung für neuromuskuläre Erkrankungen

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Arzt der Baby untersucht
©iStock, Squaredpixels

Etwa 20.000 Menschen sind in Österreich von neuromuskulären Erkrankungen betroffen. Eine davon, die spinale Muskelatrophie (SMA), ist seit 4 Jahren erfolgreich im nationalen Neugeborenen-Screening verankert und kann bei schweren Krankheitsbildern mit innovativer Genersatztherapie bei Säuglingen behandelt werden. Darüber und über weitere Forschungs- und Behandlungsfortschritte auch bei anderen neuromuskulären Erkrankungen wie der Duchenne Muskeldystrophie und den Gliedergürtel-Dystrophien geht es beim World Muscle Society Congress (WMS) der vom 7. bis 11. Oktober im Austria Center Vienna stattfindet.

„Neuromuskuläre Erkrankungen sind eine große Gruppe von Erkrankungen, bei denen der Muskel in seiner Struktur oder in seiner Funktion betroffen ist. Von diesen Erkrankungen, die entweder genetisch bedingt und daher angeboren sind oder im Laufe des Lebens erworben werden, sind allein in Österreich an die 20.000 Menschen betroffen. Für die ca. 1.200 genetisch bedingten Muskelkrankheiten, gibt es nicht nur Grundlagenforschung, sondern auch Therapien in Entwicklung, von denen einige bereits zugelassen sind. Eine besondere Erfolgsgeschichte ist das Neugeborenenscreening auf spinale Muskelatrophie (SMA), das die präsymptomatische Behandlung dieser, unbehandelt oft tödlich verlaufenden, Erkrankung mit Gentherapie ermöglicht“, so Univ.-Prof. Dr. Günther Bernert, Chair des World Muscle Society Congress (WMS) und Präsident der Österreichischen Muskelforschung.

Erfolgsgeschichte Neugeborenen-Screening bei SMA

„Die spinale Muskelatrophie ist mit rund 300 betroffenen Menschen in Österreich eine der häufigsten genetisch bedingten Muskelerkrankungen. Im Schnitt ist eines von 7.000 Neugeborenen davon betroffen“, erklärt Bernert. Seit 2021 ist die Genanalyse auf SMA erfolgreich in Österreich in das Neugeborenen-Screening aufgenommen. „Sie ist damit derzeit die einzige neuromuskuläre Erkrankung, die im Screening-Programm abgedeckt ist. Pro Jahr können wir dadurch 8 bis 10 SMA-Patienten identifizieren“, betont der Neuropädiater. Das ist wichtig, denn unbehandelt würden die schwersten Fälle innerhalb von 2 Jahren zum Tod führen. „Legt die Genanalyse den Verdacht auf SMA nahe, untersuchen wir das Neugeborene klinisch. In diesem frühen Alter erscheinen die meisten Betroffenen noch gesund, während sie – unbehandelt – schon wenige Woche später den Kopf in Bauchlage nicht von einer Seite auf die andere drehen oder sich auf den Ellenbogen abstützen könnten. Bestätigt sich der Verdacht des Neugeborenen-screenings in einer genetischen Kontrolluntersuchung, kann innerhalb von zwei Wochen nach der Geburt mit der Therapie begonnen werden. Wir haben mehrere genbasierte Therapieoptionen, aber die meisten Eltern entscheiden sich für den innovativen Gentransfer“, erklärt Bernert.

Innovative Genersatztherapie – einmaliger Einsatz bei schweren SMA-Verläufen

Bei der Genersatztherapie wird versucht, an der genetischen Ursache der Erkrankung anzusetzen. Diese besteht in einer Veränderung des SMN-1-Genes am Chromosom 5. „Dieses Gen ist bei den erkrankten Menschen defekt und kann daher ein bestimmtes Protein, das für die Entwicklung und den Erhalt der motorischen Nervenzellen im Rückenmark entscheidend ist, nicht produzieren. Ohne dieses SMN-Protein sterben die Nervenzellen ab und es kommt zur Muskelschwäche“, erklärt Bernert. „Bei der Genersatztherapie wird daher das defekte SMN1-Gen durch ein funktionierendes Gen ersetzt. Das neue Gen wird dabei über ein virales Transportsystem, dem sogenannten Vektor, in die Zelle eingeschleust. Dieser Vektor sorgt dafür, dass die Nervenzellen mit dem funktionierenden Gen „infiziert“ werden und dadurch nun das funktionelle SMN-Protein produzieren, damit die Signale vom Gehirn an die Muskeln weitergeleitet werden können. Am wirksamsten ist diese Therapie bei möglichst jungen Säuglingen noch vor dem Sichtbarwerden der ersten Symptome, da die Nervenzellen dann noch nicht irreversibel geschädigt sind“, so der Präsident der Österreichischen Muskelforschung. Die Vorteile der Genersatztherapie liegen auf der Hand: Mit der Gabe von nur einer intravenös verabreichten Dosis ist die Therapie erfolgt und es sind, laut derzeitigem Wissensstand, keine Folgebehandlungen notwendig. Die Zulassung liegt für Patienten mit einem Körpergewicht bis maximal 21 kg vor.

Weitere Therapieoptionen bei SMA

Da die Genersatztherapie auch bestimmte Nebenwirkungen – wie Leberentzündungen – haben kann, wird sie derzeit nur bei schweren Verlaufsformen, das sind allerdings ca. zwei Drittel aller SMA-Erkrankungen, eingesetzt. Für Patienten, die eine milde Form der SMA-Erkrankung haben oder schwerer als 21 kg sind, stehen zwei Therapieoptionen zur Verfügung. Das Medikament „Nusinersen“ wird intrathekal durch eine Lumbalpunktion direkt in den Liquorraum des Rückenmarks verabreicht. Die Behandlung, die in spezialisierten Zentren erfolgt, umfasst eine Initialphase mit mehreren Dosen und eine anschließende Erhaltungsphase in regelmäßigen Zeitabständen.
Das Medikament „Risdiplam“ steht als Saft für die orale Einnahme zur Verfügung. Im Juni 2025 erfolgte die Zulassung für die Therapie in Tablettenform.

Genersatztherapie – Hoffnung auch für andere neuromuskuläre Erkrankungen

Um zukünftig auch andere neuromuskuläre Erkrankungen mithilfe einer Genersatztherapie behandeln zu können, wird weltweit geforscht. „Bei der Duchenne Muskeldystrophie (DMD), die wie SMA eine der häufigsten neuromuskulären Erkrankungen bei Kindern ist, stehen wir hier beispielsweise noch vor dem Problem, dass das betroffene Gen zu groß ist, um es in einen Vektor zu verpacken. Daher gehen aktuelle Ansätze in die Richtung, mit Gen-Konstrukten zu arbeiten, die kürzer und kleiner sind als das natürliche Gen und daher keinen kompletten Ersatz bieten können, aber vielleicht den Krankheitsverlauf verbessern können. Man versucht also, aus einem großen genetischen Fehler einen kleinen zu machen“, erklärt Bernert. Auch bei den Gliedergürtel-Dystrophien, das sind erbliche Muskelerkrankungen, die vor allem die rumpfnahen Muskeln des Schulter- und Beckengürtels betreffen, wird gerade in mehreren fortgeschrittenen Studien an der Entwicklung von Gentherapien gearbeitet. Die Hoffnung ist also groß, hier bald weitere innovative Therapien zur Verfügung zu haben.

Bedeutung der „Standards of Care“ für den Therapieerfolg

Sowohl bei neuen als auch bestehenden Therapien spielen die „Standards of Care“ eine wichtige Rolle. Darunter versteht man Therapien, die nicht die erkrankte Muskulatur direkt, sondern die, von der Muskelschwäche miterfassten anderen Organsysteme unterstützt. Für die häufigsten neuromuskulären Krankheitsbilder wurden „Standards of Care“ erarbeitet und publiziert. „Aufgabe der „Standards of Care“ ist die Aufmerksamkeit auf Herzmuskulatur, Atmung und auf das Fortschreiten von Skoliose zu richten, sowie auf alles, was im weitersten Sinne das Leben mit der Erkrankung verbessert“, so Bernert.

Über die IAKW-AG und den WMS-Kongress

Die IAKW-AG (Internationales Amtssitz- und Konferenzzentrum Wien, Aktiengesellschaft) ist verantwortlich für die Erhaltung des Vienna International Centre (VIC) und den Betrieb des Austria Center Vienna. Das Austria Center Vienna ist mit 21 Sälen, 134 Meetingräumen sowie rund 26.000 m² Ausstellungsfläche Österreichs größtes Kongresszentrum und gehört zu den Top-Playern im internationalen Kongresswesen. Der WMS-Kongress wird von der World Muscle Society organisiert. Er findet heuer erstmalig in Österreich statt und feiert hier mit rund 1.500 Teilnehmern vom 7. bis 11. Oktober sein 30-jähriges Jubiläum.

Kontakt

Claudia Reis

Stv. Pressesprecherin

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