Kinderurologie bewahrt Organfunktion und schützt vor Erkrankungen des Harn- und Genitalsystems
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Alljährlich brauchen an die 1.150 Neugeborene in Österreich eine kinderurologische Unterstützung, um angeborene Fehlbildungen zu korrigieren. Teilweise – wie bei LUTO, einer Verengung der unteren Harnwege, oder der angeborenen Wirbelsäulenfehlbildung Spina bifida – sind Interventionen schon vor der Geburt möglich. Über diese seltenen und viele andere teils häufigeren urogenitalen Fehlbildungen, Erkrankungen und deren Folgen sowie die Fortschritte in der Behandlung von kinderurologischen Problemen geht es beim Kongress der europäischen Gesellschaft für Kinderurologie (ESPU), der vom 3. bis 6. September im Austria Center Vienna stattfindet.
„Bis zu 1,5 % aller Neugeborenen brauchen im Laufe der Kindheit in irgendeiner Form kinderurologische Diagnostik oder Therapie. Hier arbeiten wir gemeinsam mit Pränatalmedizinern, Geburtshelfern, Kinderärzten, Urologen und Chirurgen vor allem daran, Harnwegsinfekten vorzubeugen, die Nierenfunktion der Kinder sowie deren zukünftige Fertilität zu erhalten sowie Organfunktionen zu verbessern und Inkontinenz zu behandeln. Beispiele für solche Krankheitsbilder sind die offene Blase (Blasenextrophie), Varianten der Geschlechtsentwicklung, eine andere Lage der Harnröhrenöffnung (Hypospadien), Fehlbildung der Harnröhrenklappen oder seltene, nicht-syndromale Fehlbildungen des Harntraktes. Vieles davon kann bereits pränatal erkannt werden“, so Prim. Priv.-Doz. Dr. Dr. Bernhard Haid, neben Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Alexander Springer einer der beiden ESPU-Kongresspräsidenten und Abteilungsleiter Kinderurologie am Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern.
Seltene Urogenitalerkrankungen vor der Geburt behandeln
„Bereits ab der 12. Schwangerschaftswoche sind die Organsysteme eines Fötus bereits vollständig angelegt. In der Pränataldiagnostik können teils seltene Erkrankungen des Urogenitaltraktes wie LUTO, eine Verengung oder Blockade der unteren Harnwege, erkannt werden. In manchen Fällen kann dabei eine pränatale Therapie angeboten werden“, betont Haid. Dabei wird ein Stent gelegt, um Urin aus der Blase des Ungeborenen in das Fruchtwasser abzuleiten um Nierenschäden, Lungenunterentwic-klung und Fruchtwassermangel zu vermeiden. Die angeborene Wirbelsäulenfehlbildung „Spina bifida“ hat indirekt einen Einfluss auf den Harntrakt, da dadurch die Funktion der Blase erheblich gestört sein kann. Das wird als neurogene Blasenentleerungsstörung bezeichnet. „Unbehandelt hat diese Blasenentleerungsstörung bei den betroffenen Kindern früher, bevor dieser Zusammenhang erkannt wurde, nicht selten schon früh zum Tod geführt. Heute können diese Kinder durch die rechtzeitigen Therapien von Kinderurologen, Kinderneurologen und Kinderorthopäden ein selbstbestimmtes Leben bis ins Erwachsenenalter führen“, erklärt Haid.
Seltene urogenitale Erkrankungen rechtzeitig diagnostizieren und behandeln
Seltene urogenitale Erkrankungen können sehr vielfältig und variantenreich sein. „Haben maximal 5 Personen pro 10.000 Einwohner eine Erkrankung, gilt sie als selten. Bei dieser Prävalenz ist es dann auch schwer, wenn man kein Experte auf dem Gebiet ist, diese seltenen urogenitalen Erkrankungen zu diagnostizieren. Daher gibt es mit ERN eUROGEN ein eigenes europäisches Referenznetzwerk für seltene uro-rekto-genitale Erkrankungen und komplexe urologische Fehlbildungen, das sich für einen schnellen Zugang zu Diagnose, Behandlung und Nachsorge in Spezialzentren einsetzt“, so Haid.
Werden seltene urogenitale Erkrankungen nicht schon pränatal erkannt, zeigen sie mit häufigen Harnwegsinfekten, Fieber, Auffälligkeiten bei den äußeren Genitalien und Schmerzen beim Harnabfluss oder Bauchschmerzen erste mögliche Symptome. „Genau dann ist es wichtig, dass die Kinderärzte schnell reagieren und die jungen Patienten an Spezialzentren, wie unseres in Linz, zur Abklärung schicken. Denn je schneller die richtige Diagnose gestellt wird, desto schneller können diese Kinder auch eine Therapie erhalten und gravierende Organschäden, wie eine drohende Niereninsuffizienz, Inkontinenz und Harnwegsinfekte vermieden werden“, betont Haid.
Richtiges Timing für Operation
Bei vielen kinderurologischen Erkrankungen kommt es dann ab dem 1. Geburtstag zur ersten korrigierenden, organerhaltenden Operation. „Die Wahl des Operationszeitpunkts hängt auch damit zusammen, dass sich einige urogenitale Erkrankungen – wie gewisse Rückflüsse – auch innerhalb des 1. Lebensjahres in Ihrer Bedeutung verändern, man könnte sagen „auswachsen“, können. Aus einer grundsätzlichen Haltung, unnotwendige Eingriffe zu vermeiden, ist häufig ein Kontrollintervall sinnvoll. Kommt es zu keiner Verbesserung oder treten Probleme auf, können wir vielen Kinder mit einer operativen Korrektur weiterhelfen“, erklärt Haid. Viele Patienten, die an seltenen urogenitalen Erkrankungen leiden, benötigen in der Folge auch eine lebenslange urologische Begleitung in Spezialzentren.
Bettnässen – bei 10 % der 6-Jährigen gelebte Realität
Neben den oben angesprochenen, teils seltenen und komplexen Erkrankungen sind auch – vermeintlich – banale Probleme Teil der Kinderurologie und werden beim Kongress der ESPU behandelt. Ein solches, oft tabuisiertes Thema ist auch das Bettnässen. „10 Prozent aller 6-jährigen Kinder ist bis zu dreimal im Monat in der Nacht inkontinent. 1-2 Prozent der 6- bis 10-Jährigen können ihren Urin auch unter Tags nicht halten. Das ist ein manchmal hoher, mitunter mit Scham behafteter Leidensdruck für die Kinder“, erklärt Haid. Auch hier ist die Kinderurologie im Einsatz, um die Ursachen dafür aufzudecken. Liegt eine funktionelle oder entwicklungsbedingte Ursache vor, wie in den meisten Fällen, wird Urotherapie und „Training für Blase und Nervensystem“ als Behandlung erfolgreich angewandt. Auch Medikamente haben einen Stellenwert in der Therapie. In 15 bis 20 Prozent der Fälle kommt es spontan bei den Kindern zu einer Verbesserung. Selten liegt eine strukturelle Ursache vor. Hier kann nach weiterer Diagnostik chirurgisch geholfen werden.
Über den ESPU-Kongress
Der Kongress der European Society for Paediatric Urology (ESPU) findet jährlich statt und vereint heuer – wie alle 5 Jahre –im Format eines „Joint Meetings“ in einem besonderen Zusammenschluss 7 internationale Fachgesellschaften. „Das ist eine für uns Kinderurologen großartige Sache! Kinderurologen aus der ganzen Welt treffen sich in Wien zum größten und umfassendsten Treffen der Geschichte des Fachgebiets“, betont Prof. Serdar Tekgül, Präsident der ESPU. Für ihn ist das eine Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen, zusammenzuarbeiten und einen Beitrag zur Zukunft der Kinderurologie zu leisten.
Über die IAKW-AG
Die IAKW-AG (Internationales Amtssitz- und Konferenzzentrum Wien, Aktiengesellschaft) ist verantwortlich für die Erhaltung des Vienna International Centre (VIC) und den Betrieb des Austria Center Vienna. Das Austria Center Vienna ist mit 21 Sälen, 134 Meetingräumen sowie rund 26.000 m² Ausstellungsfläche Österreichs größtes Kongresszentrum und gehört zu den Top-Playern im internationalen Kongresswesen.
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